Zwischen Lübeck und Kiel fahren die Akku Züge seit Oktober 2023 und haben gezeigt, dass sie Verspätungen effektiv abbauen können. Foto von Harry Behrens.

Oberleitungsschäden durch Akku-Züge: Lösung in Sicht

In den letzten Wochen war der Eisenbahnknoten Kiel zwei Mal für mehrere Stunden wegen Oberleitungsschäden gesperrt. Fahrgäste strandeten für Stunden vor Kiel, in Flintbek und Hassee, die Züge aus Lübeck fuhren gar nicht, viele Menschen warteten stundenlang auf einen Ersatzverkehr.

Es war nicht das erste Mal, dass einer der neuen Akku-Züge die Oberleitung in Kiel heruntergerissen hat. Hier ist es wegen der vielen Züge und Strecken besonders gravierend, aber auch in Lübeck, Heide, Neumünster, Rendsburg und Bad Schwartau ist es schon passiert. Wir haben mehr als zwei Dutzend Zwischenfälle gezählt (teils ohne Auswirkungen auf den Bahnverkehr).

Hintergrund:

Ursache war immer, dass ein Akku-Zug mit gehobenem Stromabnehmer in eine Strecke ohne Oberleitung gefahren ist. Die Oberleitung fällt und steigt, der Stromabnehmer wird deswegen immer leicht gegen sie gepresst, damit er ihr folgen kann. Hört die Oberleitung allerdings auf, steigt der Stromabnehmer in die maximale Auslenkung und kann so Schaden anrichten. Auch wenn der Stromabnehmer noch nach unten schnellt, ist es häufig zu spät, um Schäden zu verhindern.

Endet die Oberleitung, aber behalten die Nachbargleise ihre, so können etwa deren Tragseile getroffen werden. In den letzten Wochen ist das zwei Mal bei Fahrten in die Abstellgleise unter der Gablenzbrücke passiert. Bei Schäden an der Oberleitung musste diese zur Kontrolle und Schadensbehebung teils großräumig abgeschaltet werden – mit entsprechenden Folgen für den Verkehr.

Ursache: Menschliche Fehler

Die Triebfahrzeugführer:innen tragen die Verantwortung dafür, dass der Stromabnehmer gesenkt wird. Für sie steht auch die Signaltafel „EL6“ neben dem Gleis, an der nicht mit gehobenem Stromabnehmer vorbeigefahren werden darf. Die Tafeln stehen aber so nah am Oberleitungsende, dass in der Regel nicht mehr rechtzeitig gebremst werden kann.

Aus unserer Sicht kann dem Fahrpersonal kein pauschaler Vorwurf gemacht werden, denn solche Fehler sind menschlich und nach Schichten von bis zu 11 Stunden oder nach einem unangenehmen Gespräch mit einem Fahrgast gut vorstellbar. Man kann davon ausgehen, dass auch ein sehr aufmerksamer Mensch beim 10.000 Mal einen Fehler macht. Nach unserer Rechnung muss etwa 500 Mal am Tag der Stromabnehmer im Akku-Netz gesenkt werden – wenn etwa alle 3 Wochen so ein Fehler passieren würde, wären wir daher nicht überrascht.

erixx und Nordbahn haben seit den ersten Unfällen einiges getan, um die Unfälle zu vermeiden. Es wurde immer wieder nachgeschult und an Gedächtnisstützen und Routinen gearbeitet. Jede Fahrt muss beim Fahrdienstleiter angemeldet werden und der fragt routinemäßig nach, ob der Stromabnehmer gesenkt wurde. erixx hat diverse Dienstanweisungen erteilt. So darf nicht mehr mit gehobenem Stromabnehmer gefahren werden und vor Abfahrt muss das Personal aussteigen und sich vergewissern, dass die Stromabnehmer unten sind.

Dass es dennoch weiter geschehen ist, zeigt ganz klar, dass es sich um einen nie ganz auszuschließenden menschlichen Fehler handelt. Selbst erfahrenem Personal ist es schon passiert und die Nordbahn ist genauso betroffen wie die SWEG, die etwas später in Baden-Württemberg ein Akku-Netz übernommen hat und ebenfalls einige Unfälle verursacht hat.

Bis dahin halten wir es aber für sinnvoll, wenn auch die DB InfraGO als Infrastrukturbetreiberin zusätzliche oder bessere Schilder zur Warnung aufstellt. Zum Teil sind sie heute stark verdreckt oder stehen ungünstig. Die DB darf sich nicht darauf ausruhen, die Schilder richtlinienkonform aufgestellt zu haben, denn sie kann hier mit kleinen Maßnahmen zur Entschärfung des Problems beitragen. Lösen werden Schilder das Problem zwar nicht, denn die Triebfahrzeugführenden wissen in der Regel, wo sie den Stromabnehmer senken müssen, sind ja schon hunderte Male daran vorbeigefahren – sie glauben eben, sie hätten es schon getan. Die Schilder sind daher eine bloße Erinnerung. Langfristig sollten die Oberleitungen an den kritischen Übergängen von elektrifizierten zu nicht-elektrifizierten Strecken so (um)gebaut werden, dass Bedienfehler des Fahrzeugpersonals nur geringe Auswirkungen haben.

Ohne technische Lösung wird es weitere Unfälle geben

Das Fahrpersonal darf hier nicht alleine gelassen werden, es braucht eine technische Lösung.

erixx hat eine solche Lösung selber entwickelt. Die Triebfahrzeugführer:innen haben eine App auf dem Dienst-Smartphone, über die mit der Leitstelle kommuniziert werden kann. Die App kennt auch den Fahrplan und wurde so erweitert, dass sie an den richtigen Punkten an das Senken des Stromabnehmers erinnert. Das System hat zu einer deutlichen Reduzierung der Vorfälle geführt. Die Nordbahn hat ein vergleichbares System für ihre App entwickeln lassen und wird es bald einsetzen.

Der Schutz durch die App ist aber begrenzt. So hilft sie nicht bei Rangierfahrten, da diese keinen Fahrplan haben. Und gerade die waren zuletzt bei der Nordbahn das Problem. Idealerweise sollte deswegen die Gefahr durch die Software des Akku-Zugs gebannt werden. Die kennt auch den Zustand des Stromabnehmers und kann so präziser warnen.

Diese Funktion ist Teil des geplanten Fahrassistenten, der aber noch nicht eingespielt wurde. Wie bei so vielem an den Fahrzeugen werden mit dem Assistenten neue Wege beschritten, die Entwicklung hat sich deswegen erheblich verzögert. Das System soll etwa Empfehlungen zu einer energiesparenden Fahrweise geben. Allerdings braucht es dafür einiges an präzisen Daten und es gibt auch Sicherheitsbedenken. So wollten erixx und Nordbahn das System nicht einsetzen, wenn es zu Fehlern verleitet. Etwa indem eine Geschwindigkeit empfohlen wird, die höher ist als es der Fahrdienstleiter kurzfristig angeordnet hat – in den meisten Fällen weiß der Mensch nämlich immer noch mehr als die Maschine.

Allerdings hat Stadler das System jetzt den Wünschen der Verkehrsunternehmen angepasst und nach zufriedenstellenden Testfahrten wird es die Nordbahn es in den nächsten Wochen intensiv im Alltag testen und das Personal schulen. Sollte die Einführung gelingen, erwarten wir eine massive Reduzierung der Unfälle, denn das System weist viel präziser auf oberleitungslose Abschnitte hin als die Apps der Verkehrsunternehmen.

Mit dem neuen, europäischen Zugsicherungssystem ETCS wird das Problem endgültig Geschichte sein. Es kennt die Signalbegriffe „Stromabnehmer heben/ senken“, die per Funk übertragen werden und die das Fahrzeug autonom umsetzen kann. Die schleswig-holsteinischen Fahrzeuge sind dafür vorbereitet, es wird aber noch einige Jahre dauern, bis das System landesweit ausgerollt sein wird.

Bewertung:

Wir waren von Beginn an hochzufrieden mit den Akku-Zügen. Sie sind nicht nur klima- und umweltfreundlich, sondern sind auch leistungsfähiger und bieten eine deutliche Steigerung des Fahrkomforts. Die Startprobleme hielten sich für Neufahrzeuge in völlig akzeptablen Grenzen. Die Oberleitungsunfälle bleiben allerdings ein gravierendes Problem.

Seit den ersten Unfällen Ende 2023 haben wir mit allen Beteiligten Gespräche geführt und auf eine Lösung gedrängt. Nach unserer Kenntnis waren sich alle schon Jahre vor der Auslieferung einig, dass die Kontrolle durch das Fahrpersonal ausreichend ist. Das schließt das Eisenbahnbundesamt genauso ein wie den Hersteller Stadler, die NAH.SH und die Infrastrukturbetreiberin Deutsche Bahn. Wir machen niemandem zum Vorwurf, das spätere Ausmaß des Problems falsch eingeschätzt zu haben, denn auch wir waren davon genauso überrascht wie erfahrene Betriebseisenbahner. Hinterher ist man eben immer schlauer. Aus unserer Sicht wurde die Einführung dieser Fahrzeuge alles in allem gut gemacht.

Die Reaktion auf die dann auftretenden Probleme hätte aber besser sein können.

In der Rückschau kritisieren wir vor allem eines: Die Beteiligten hätten stärker gemeinsam Verantwortung übernehmen können. Viel zu oft wurde auf die Verantwortung der Verkehrsunternehmen und letztlich des Fahrpersonals hingewiesen. Dabei hätte insbesondere die NAH.SH zur Lösung beitragen können, wenn sie bei der Entwicklung des Fahrassistenten deutlich pragmatischer gewesen wäre. Nichts hat aus technischen Gründen dagegen gesprochen, beim Fahrassistenten zumindest die Oberleitungsfunktion vorzeitig freizuschalten. Es war aus unserer Sicht reiner Formalismus, dass auf die Auslieferung des Komplettsystems bestanden wurde.

Die Einführung dieses neuen Fahrzeugtyps ist und bleibt eine starke Leistung aller Beteiligten. Es hat sich aber gezeigt, dass das Lagerdenken bei der Eisenbahn immer noch ein Problem ist.