Grüne und CDU haben am Donnerstag ihren Koalitionsvertrag vorgestellt, heute wurde er von den Parteien genehmigt. Auf 9 der 244 Seiten wird das Thema Mobilität behandelt.
Was können wir in den nächsten Jahren für den Nahverkehr im Land erwarten?
Wir haben natürlich eine Meinung dazu.
Ambitionierte Ziele
Übergeordnete Ziele der Koalitionspartner sind ein Anteil der Schiene an der Verkehrsleistung im Personenverkehr von 20-25 % (heute 7 %) und ein emissionsfreier Schienenpersonennahverkehr (SPNV) bis 2030. Eine vollständige Elektrifizierung des Bahnnetzes möchten die Partner so schnell wie möglich umsetzen.
Im Norden nichts Neues
Die Koalitionäre wollen in erster Linie die Projekte des Landesnahverkehrsplans (LNVP) umsetzen, der bereits von der vorigen Regierung beschlossen wurde.
Neu ist, dass die Umsetzung des LNVP beschleunigt werden soll und die Partner die Projekte “sofern möglich” vorziehen wollen. Priorisiert werden sollen Reaktivierungen und die Beseitigung von Engpässen. Es sollen auch mehr Überhol- und Ausweichmöglichkeiten für einen verlässlicheren Bahnverkehr geschaffen werden.
Von den Projekten des LNVP werden ausdrücklich genannt:
- S4 West und Ost
- S 21
- Elektrifizierung der Marschbahn
- Fahrzeitverbesserung Kiel – Lübeck
- RB Kiel – Preetz mit zweigleisigem Ausbau
- Reaktivierung Kiel – Schönberg
- Reaktivierung Rendsburg-Seemühlen
- Reaktivierung Wrist – Kellinghusen
All diese Projekte wurden von Vorgängerregierungen beschlossen und werden bereits geplant oder stehen vor der Fertigstellung.
Erstmals in einem Koalitionsvertrag stehen einige Projekte, die aber alle schon Teil des LVNP waren:
- Reaktivierung Uetersen – Tornesch
- Reaktivierung Geesthacht – Bergedorf
- Expresszug Neumünster – Norderstedt
- Angebotsverbesserung Hamburg – Pinneberg
- Taktverbesserungen S1, S21, S3
- Flügelkonzept Kiel – Husum / Flensburg
- Zweigleisiger Ausbau und Elektrifizierung Bad Oldesloe – Neumünster
- Verbindung Kiel und Lübeck mit dem Umland im 30-Minuten-Takt
Drei Projekte bekommen tatsächlich zum ersten Mal eine landespolitische Unterstützung:
- Reaktivierung Neumünster – Ascheberg
- Reaktivierung Kappeln – Süderbrarup
- Innovationsprojekt Malente – Süderbrarup
Bemerkenswert ist, dass der Vertrag immerhin keine Absage an die Reaktivierung der Bahnstrecke Flensburg – Niebüll enthält. Denn die CDU vor Ort hatte sich gegen eine Reaktivierung ausgesprochen. Eine Forderung, die sogar von der Landes-CDU in ihr Wahlprogramm mit aufgenommen wurde. Leider wird das Vorhaben dafür nicht direkt erwähnt, ist als Projekt des LVNP indirekt aber Teil des Koalitionsvertrags. Auch die Verlegung des Flensburger Bahnhofs wird nicht erwähnt – auch das vielleicht ein kleiner Gewinn, haben sich doch die Grünen vor Ort dagegen ausgesprochen.
Nicht genannt wird eine Neubaustrecke Itzhoe – Elmshorn, obwohl sie Teil des LNVP war.
Schienenwege sollen im Land erhalten werden, die Partner wollen keine weitere Entwidmung zulassen.
Die Bäderbahn wäre damit gesichert. Ihr Betrieb soll auch fortgeführt werden, allerdings unter Einbindung “innovativer Betriebskonzepte”. Was damit gemeint ist, ist unklar, auch wenn es wahrscheinlich eine Anspielung auf den Wettbewerb im letzten Jahr ist. “Zur Stärkung des ländlichen Raums” sollen auf zu reaktivierenden Strecken möglichst erste Verkehre bestellt werden. Einzige betriebsfähige Strecken wären die nach Geesthacht und Kappeln.
Gemeinsam mit Hamburg möchte man sich für einen Ausbau des Bahnknotens Hamburg einsetzen, genauso wie für die Umsetzung des Deutschlandtakts. Schleswig-Holstein soll besser ins europäische Nachtzugnetz integriert werden.
Finanzierung
Investitionsmittel sollen verstärkt auch in Projekte des ÖPNV fließen. Eine Summe wird allerdings im Vergleich zu den Landesstraßen nicht genannt. Für diese ist ein Sanierungsprogramm mit mindestens 90 Millionen Euro im Jahr vorgesehen.
Die Mittel nach dem Gemeindeverkehrfinanzierungsgesetz des Landes (GVFG-SH) sollen nach dem Willen der Partner zu 60 % für die Sanierung von Landesstraßen aufgewandt werden. Nur 40 % der Mittel sollen in den Nah- und Radverkehr fließen. In 2021 waren 28 Millionen Euro für den Straßenbau eingeplant worden, 14 Millionen für den ÖPNV, 1 Million für den Radverkehr.
Dafür soll das Sondervermögen MOIN.SH ausgebaut werden. Das Sondervermögen war von der letzten Landesregierung ins Leben gerufen worden und soll der “Förderung von Mobilität und Innovation des Schienenpersonennahverkehrs” dienen. Mitte 2021 hatte das Vermögen noch einen Umfang von 175 Millionen Euro. Zuletzt wurde damit das Projekt Akku-Zug unterstützt und es wurden Einnahmeausfälle während der Corona-Pandemie ausgeglichen.
Eingerichtet wurde das Sondervermögen zunächst für die Finanzierung des Akku-Zuges. Gespeist wurde es durch nicht anderweitig verwendete Mittel des Bundes, vor allem Regionalisierungsmittel. Ob das Sondervermögen nun auch durch Landesmittel gespeist werden soll, ist unklar.
Die Partner wollen das Vermögen zu einem revolvierenden Fonds weiterentwickeln. Soll heißen, dass auf Investitionen folgende Kostenersparnisse oder Mehreinnahmen wieder in das Sondervermögen fließen sollen, um weitere Innovationen zu ermöglichen.
Letztendlich ist nicht geklärt, wie die beabsichtigten Maßnahmen finanziert werden sollen. Das wirft Fragen auf, da selbst die Projekte des LNVP aus der vorigen Legislatur weitestgehend nicht finanziert sind. Im Koalitionsvertrag wird zwar vereinbart, dass “die Finanzierung der im LNVP vorgesehenen Projekte” sichergestellt wird. Gleichzeitig will man sich aber für eine Erhöhung der Regionalisierungsmittel einsetzen und ein Plus in die LNVP-Projekte stecken. Die zweite Aussage steht im Widerspruch zur ersten.
Wenig zum Stadtverkehr
Der Vertrag enthält nur wenige konkrete Aussagen zum städtischen Nahverkehr. Gefördert werden soll die Einführung “höherwertiger ÖPNV-Systeme für Stadt-Umland-Verkehre unter Einbeziehung der regionalen Bahnstrecken”, sofern der Bund ebenfalls eine Forderung zusagt. Hintergrund werden die Planungen in Kiel und Lübeck für Stadtbahnsysteme sein. Da beide Verfahren in der Frage der Technologie noch offen gehalten werden wird von “höherwertigen ÖPNV-Systemen gesprochen”. Eine Technologieoffenheit wird sogar explizit gefordert. Verwirrend ist die Verbindung mit regionalen Bahnstrecken, da dies nur mit Stadtbahnen möglich wäre und in Kiel und Lübeck nur perspektivisch geschehen soll – wenn überhaupt.
Mobilitätsgarantie
Ein neues Konzept taucht im Koalitionsvertrag auf. CDU und Grüne wollen eine Mobilitätsgarantie mit den Kommunen etablieren. Danach soll von früh bis spät eine verlässliche, regelmäßige Anbindung von jedem Ort in Schleswig-Holstein sichergestellt werden. Die Mobilitätsgarantie soll an einem Ort an einer Pilotphase eingeführt werden. Ermöglicht werden soll sie durch eine Förderung der Mobilitätsangebote der Kommunen, um Mindestbedienstandards schrittweise zu erhöhen. On-Demand-Angebote sollen Teil des Konzeptes sein.
Für uns klingt das nach unserem Landes-Busnetz.
Planungskapazitäten
Viele Schienen-Projekte stocken gerade im Land. Der Grund für eine lange Planungszeit ist häufig ein Mangel an Planerinnen und Planern.
Die Partner haben vor diesem Hintergrund vereinbart, dass in Schleswig-Holstein mehr in Planungsberufen ausgebildet werden soll. Sie wollen mehr Stellen geschaffen und bestehende aufgewertet werden. Sollte es nicht gelingen, ausreichend Planungskapazitäten auf diesem Wege zu schaffen, soll eine landeseigene Planungsgesellschaft gegründet werden.
Neue Tickets
Vereinbart wurden ein “flexibel nutzbares 30er-Mehrfahrtenticket” sowie günstige Auszubildenden-Tickets. Geprüft werden soll die Finanzierbarkeit von Sondertickets für junge Menschen und Senioren.
Für den Dänemark-Verkehr möchte man die Möglichkeiten eines Angebots für Grenzpendelnde prüfen. Das Grenzkieker-Ticket soll wieder eingeführt werden. Langfristig sollen BürgerInnen in der Grenzregion zu einheitlichen Konditionen mobil sein können.
Kurkarten sollen künftig auch als ÖPNV-Ticket genutzt werden können.