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Diskussionsveranstaltung “Das 9-Euro-Ticket – Einstieg in die Verkehrswende für Bus und Bahn”

Das 9-Euro-Ticket ist in aller Munde. Es wird gelobt, es wird kritisiert und es wird spekuliert – alles nur über die 3 Monate der Gültigkeit von Juni – August.

Was kann kurzfristig mit dieser Aktion erreicht werden? Was für einen langfristig wirkenden Infrastruktur-Ausbau braucht es? Das Hamburger Bündnis Mobilität – ein Zusammenschluss von rund 50 Verbänden, die sich für eine klimaorientierte Verkehrspolitik einsetzen – versucht eine Bewertung und blickt in die Zukunft. In einer Diskussionsrunde haben wir uns dazu ausgetauscht, wie es nach August im Alltag weiter gehen soll. Ist das 9-Euro-Ticket mehr als nur ein Sommer-Gag?

Zu der Veranstaltung am 19. Mai hatten wir eingeladen:

• Anna-Theresa Korbutt, Geschäftsführerin, Hamburger Verkehrsverbund
 Susanne Rieschick-Dziabas, Marketingleiterin, Verkehrsbetriebe Hamburg-Holstein
• Ole Thorben Buschhüter, Verkehrspolitischer Sprecher der SPD-Fraktion Hamburg, MdHB

Rund 40 Zuhörende hatten sich eingeloggt und sich auch intensiv an der Diskussion beteiligt. 

Wie die Diskussion verlief, können Sie nun in Auszügen nachlesen:

Welche Ziele hat das Ticket und wie können diese Ziele über den 31.08.2022 hinaus gehalten werden?

Anna-Theresa Korbutt: Das 9 € Ticket ist zur finanziellen Entlastung der Bürger beschlossen worden. 

Wie reagiert die Nachfrage?

Susanne Rieschick-Dziabas: Aktuell ist die Nachfrage 20% unter der Vor-Corona-Zeit. Unser Ziel ist es, die Fahrgastzahlen zu steigern – Platz ist da. Das 9 € Ticket ist ein spannendes Experiment.

Ist es der Preis, kommen Neukunden?

Ole Thorben Buschhüter: Das 9 € Ticket ist zunächst einmal eine Entlastung für alle und stellt eine günstige Alternative dar. Gleichzeitig ist das 9-Euro-Ticket auch ein großer Feldversuch. Die längerfristige Planung sieht für Hamburg eine Steigerung der Modal-Split zugunsten des Öffentlichen Verkehrs von 22 auf 30% vor. Wie erreichen wird dies? Angebot oder Preis? Hamburg hat bislang mehrere große Angebotsoffensiven durchgeführt.

Welche Maßnahmen können oder sollen Politik, Aufgabenträger und Verkehrsunternehmen treffen, damit die drei Monate zu einem Erfolg führen?

Anna-Theresa Korbutt: Der hvv hat zur Vorbereitung das Bestmögliche getan, professionelle Kommunikation, alle Vertriebskanäle umgestellt. Der Verkauf des 9 € Tickets erfolgt sogar im Bus! Es gibt eine große Kampagne. Wir haben aber keine zusätzliche Fahrzeugkapazität.

Susanne Rieschick-Dziabas: Das Wichtigste:  Das Angebot muss zuverlässig und in hoher Qualität auf die Straße gebracht werden, wenn wir neue Kunden gewinnen wollen.

Anna-Theresa Korbutt: Ab dem 24. Mai gibt es eine neue Kampagne.

Ole Thorben Buschhüter: Ein Angebotsausbau war nicht Teil des Plans. Der Öffentliche Verkehr soll seine Vorteile hervorkehren und die Leute überzeugen. Punktuell soll bei Kapazitätsengpässen nachgesteuert werden. Wir sollten nicht beim ersten Missgeschick auf die Verkehrsunternehmen zeigen. 

Welche Ergebnisse erwarten Sie?

Anna-Theresa Korbutt: Der hvv begleitet das Thema mit einer Marktforschung. Wir wollen mit den Kunden in Diskussion kommen. Nach drei Wochen werden erste Teilergebnisse erwartet.

Susanne Rieschick-Dziabas: Es stellen sich die Fragen, wo neue Fahrgäste kommen, wo wird es zu voll, wo muss umgeplant werden, wo sind Verstärkerfahrten erforderlich. Wir wissen derzeit nicht was passieren wird.

Ole Thorben Buschhüter: Die Politik verlässt sich auf die Marktforschung des hvv.

Anna-Theresa Korbutt: In Wien erfolgte 40 Jahre lang ein Ausbau des Öffentlichen Verkehrs, dann folgte eine leichte Preissenkung.

Ole Thorben Buschhüter: Untersuchung, ob Bus und Bahn überlaufen. Angebot und Qualität müssen stimmen.

Was muss geschehen, damit dieser Impuls über den 31.08. hinaus wirkt?

Anna-Theresa Korbutt: Am 1.9. gilt wieder der alte Preis. Eine Prüfung für Einsteigerangebote wird durchgeführt. Der Preis führt zu einer Steuerung, eine Debatte zwischen Bund und Ländern. Für das österreichische Klimaticket (Anmerkung: Gilt im Nah- und Fernverkehr, gibt es für einzelne Bundesländer oder für ganz Österreich) erfolgten Vorbereitungen über einen Zeitraum von 15 Jahren und es wurde zusätzliches Rollmaterial beschafft. 

Susanne Rieschick-Dziabas: Die neuen Angebote wie die Tangential- und Direktverbindungen haben für eine gute Auslastung der Busse gesorgt. Der Autoverkehr ist enorm subventioniert. Wenn der PKW-Verkehr reduziert werden soll, muss diese Bevorzugung enden und mehr Geld in den Öffentlichen Verkehr investiert werden.

Ole Thorben Buschhüter: Entscheidungen müssen zügig getroffen werden. Die Betriebshofkapazität ist derzeit die Grenze für den weiteren Angebotsausbau. Das 9 € Ticket kann nicht mit Parkraumbewirtschaftung finanziert werden. Hamburg alleine wird es nicht ändern können, der Bund muss neue Möglichkeiten eröffnen.

Weitere Diskussion:

Anna-Theresa Korbutt: Finanzierung im europaweiten Vergleich: In der Schweiz sitzen viele Entscheidungsträger dabei, aber es gibt keinen ausgeprägten Föderalismus. Frankreich ist zentralistisch. Der Markt sind die Kunden. Es ist zu hoffen, dass die Politiker entsprechen reagieren.

Susanne Rieschick-Dziabas: Die Tarifhoheit liegt beim hvv. Wir sitzen mit dem hvv zusammen, Entscheidungen werden aber anderswo getroffen. Es ist schon ein Problem, wenn drei Parkplätze für eine Busbeschleunigung wegfallen sollen.

Anna-Theresa Korbutt: Antwort auf die Frage, ob neue Strecken oder mehr Kapazität den größeren Effekt haben: 

Es werden mehr Platz und zusätzliche Gleise benötigt. Busse stehen im Stau, weil sie keine eigene Fahrspur haben. Mehr Busse im Stau bringen nichts.

Susanne Rieschick-Dziabas: Die Betriebshöfe sind voll, die Werkstätten sind zu klein. Es gib nicht ausreichend Grundstücke für Busbetriebshöfe. Es ist wegen der Gewerbesteuerzahlungen für die Gemeinden attraktiver Betriebe anzusiedeln als einen Busbetriebshof errichten zu lassen. Der Busbahnhof Altona platzt aus allen Nähten. Dies sind riesige Themen!

Ole Thorben Buschhüter: Die in der Rodigallee geplante Busspur kann nur in einer Richtung ausgeführt werden, da Platz für den Radverkehr benötigt wird. Aktuelles Problem ist die Kapazität auf der Straße. Es ist mehr Infrastruktur für den Bus erforderlich. Es geht um die Bevorrechtigung des Busverkehrs.

Anna-Theresa Korbutt: Ich begrüße die 9-€-Aktion. Normalerweise sind 7 bis 8 Monate Vorbereitungszeit für eine Ticketaktion erforderlich. Es wäre enttäuschend, wenn keiner kommt oder keiner sich um die Ergebnisse kümmert.

Susanne Rieschick-Dziabas: Antwort auf die Frage zur Personalgewinnung: Die VHH haben schon früh eine Arbeitgebermarke aufgebaut, investieren viel Geld in die Mitarbeiterakquise und es gibt ein Programm „Mitarbeiter werben Mitarbeiter“.

Anna-Theresa Korbutt: Der hvv ist maximal transparent. Die Kalkulation für das 9 € Ticket wurde gemacht, 130 Mio € für 3 Monate. Stellt gerne Ergebnisse aus Wien zur Verfügung. Der hvv hat die für das 9 € Ticket erforderlichen Umstellungen im Rahmen der normalen Arbeit erledigt.

Ole Thorben Buschhüter: Das 9 € Ticket wird nicht scheitern!