Zu lange wurde zu wenig in das Bahnnetz investiert, zu viele Jahre wurden langwierige Planungsverfahren hingenommen. Dafür wuchs der Verkehr auf der Schiene mit jedem Jahr. Das Netz hat an vielen Stellen seine Grenze erreicht, die aufgeschobenen und jetzt fälligen Baustellen verringern zusätzlich die Kapazität der Schienenwege.
Aber es beginnt die Aufholjagd.
Im Sommer kam eine Kommission aus VertreterInnen des gesamten Bahnsektors zusammen, die eines untersuchen sollten: Wie können Planung, Finanzierung, Genehmigung und Bau von Schienenwegen schlanker und schneller werden? Die Kommission wurde ihrem Namen gerecht, die Empfehlungen liegen seit Mitte Dezember vor.
Eine Auswahl der aus unserer Sicht für den Norden relevanten Maßnahmen:
Verzicht auf Planfeststellung bei Aus- und Neubau von Bahnsteigen
Die Kommission möchte die Pflicht zur Planfeststellung zum Teil entfallen lassen, an erster Stelle für den Neu- oder Umbau von Bahnsteigen, aber auch deren Erhöhung oder Anpassung, sowie für das Zubehör (Über- und Unterführungen, Bahnsteigdächer, Aufzüge).
Dies sollte schnellstens umgesetzt werden. Bahnsteige an bestehenden Strecken aus- und neuzubauen stellt eine geringfügige zusätzliche Belastung der Betroffenen da. Dafür sind Aus- und Neubau von großer Bedeutung für die Mobilitätswende und wichtig für ein Mehr an Barrierefreiheit. Planfeststellungsverfahren haben ihre Rechtfertigung bei Vorhaben mit komplexen Auswirkungen und einer großen Zahl an Betroffenen. Die meisten Bahnsteige gehören nicht dazu, hier wurde bisher mit Kanonen auf Spatzen geschossen.
In Schleswig-Holstein steckten lange neue Haltepunkte in Schwentinental oder Preetz in Planfeststellungsverfahren fest, die Reaktivierungen von Hein Schönberg und Rendsburg-Seemühlen verzögern sich um Jahre, obwohl die Strecken längst fertig sind – die Bahnsteige müssen noch planfestgestellt werden. Hier kann viel Zeit gewonnen werden.
Allzu groß sollten die Erwartungen aber nicht sein, denn nicht jeder Bahnsteig ist trivial. Müssen Oberleitung, Gleise, Weichen oder Signale verschoben werden, wird es oft kompliziert. Das aufwendigere Verfahren kann hier seine Rechtfertigung haben. Die Kommission schlägt vor, örtlich begrenzt auch Änderungen am Fahrweg zuzulassen, aber irgendwo muss diese Grenze gezogen werden.
Für Elektrifizierungen wird ebenfalls vorgeschlagen, die Pflicht zur Planfeststellung teilweise fallen zu lassen.
Verzicht auf Nutzen-Kosten-Bewertung bei Elektrifizierung und Ausweichstrecken
Der Streckenausbau ist in Deutschland an eine Nutzen-Kosten-Bewertung geknüpft, die nur wirtschaftliche Maßnahmen zulassen soll. Sinnvoll, aber leider werden zum Nutzen fast nur Reisezeitgewinne gezählt. Die bloße Elektrifizierung oder der Ausbau von Umleitungsstrecken bringen aber gerade keine Reisezeitgewinne – der Ausbau wird daher oft als unwirtschaftlich bewertet.
Dabei hat vor allem der Tunneleinsturz von Rastatt gezeigt, dass es an Redundanz im deutschen Schienennetz fehlt. Während der mehrmonatigen Sperrung einer der wichtigsten europäischen Fern- und Güterstrecken standen kaum elektrifizierte Umleitungsstrecken zur Verfügung. Der volkswirtschaftliche Schaden wurde auf mehr als 2 Milliarden Euro geschätzt.
In der Folge wurden wichtige Umleitungsstrecken im Netz identifiziert, die eine hohe Priorität bekommen sollten. Aber keine davon wurde gebaut – denn sie waren nach den Maßstäben des Verkehrsministeriums nicht wirtschaftlich. In den sechs Jahren seit der Havarie in Rastatt ist dann nichts passiert.
Zu den großen Maßnahmen kommen kleine, häufig würden zusätzliche Ausweichgleise, Weichen oder Signale helfen – aber nach der bisherigen Logik hat dies keinen wirtschaftlichen Wert. Auch das soll geändert werden.
Für Hamburg und Schleswig-Holstein wären vor allem Ausbauten und Elektrifizierungen der Strecken Büchen-Lüneburg und Bad-Oldesloe-Neumünster wichtig, um bei Sperrungen im Raum Hamburg den Fern- und Güterverkehr umleiten zu können. Es braucht hier dringend Ausweichmöglichkeiten – es ist gerade eine Woche her, dass der gesamte Verkehr von Hamburg Richtung Norden wegen einer defekten Oberleitung bei Pinneberg für Stunden ausfiel.
Transparente und nachhaltige Finanzierung
Die meisten Bahnstrecken in Deutschland gehören der DB Netz AG, die wiederum Teil des Konzerns Deutsche Bahn ist. Das Pendant für die Bahnhöfe ist die DB Station und Service AG. Für die Nutzung zahlen die Verkehrsunternehmen Trassen- und Stationsgebühren. Diese Einnahmen sollen vor allem den Betrieb und die Instandhaltung der Strecken finanzieren.
Zumindest sollte es so sein. Die Finanzströme sind komplex und nicht immer transparent. Zwischen Mutterkonzern und den Infrastrukturtöchtern fließen Gelder in beide Richtungen, die Unternehmen sind stark miteinander verflochten.
In jedem Fall fließt auch Geld vom Bund über eine Vielzahl an Fördertöpfen an die Infrastrukturtöchter der DB. Neben einer großen Zahl kleinerer gibt es zwei große, einen für die Förderung von Ersatzinvestitionen (Neubau am Ende Lebensdauer, etwa von Brücken) und einen für den Ausbau des Netzes. Die Fördergelder sind dabei immer projektbezogen – sie müssen bewertet und innerhalb der Förderperiode abgerechnet werden.
Diese Finanzarchitektur führte zu einer Reihe von Problemen. Die Vielzahl an Fördertöpfen erhöhte den Aufwand bei Planung und Abrechnung erheblich. Es gab nur eingeschränkte Möglichkeiten, Maßnahmen zu bündeln – etwa weil nur ein Teil der Maßnahmen gefördert wurde und in einem bestimmten Zeitraum abgerechnet werden musste. Durch die Förderung von Ersatzinvestitionen, aber nicht der Instandsetzung, wurde ein Fehlanreiz gesetzt, das eine für das andere zu vernachlässigen. Auch konnte kaum ein Marktteilnehmer vorausschauend planen. Soll etwa in vier Jahren massiv ausgebaut werden, muss die Industrie heute schon beginnen, Personal und Baugerät einzukaufen. Dafür braucht es aber auch die Sicherheit, dass es wirklich zum Bau kommt.
Die Kommission empfiehlt daher den Aufbau von zwei Fonds, die den Unterhalt und Ausbau der Schiene langfristig sichern sollen: ein „Fonds zur Sanierung des Bestandsnetzes“ und ein „Ausbau- und Modernisierungsfonds„. In den beiden Fonds sollen alle bisherigen Bundesförderungen gebündelt werden, der Sanierungsfond wird zusätzlich aus den Infrastruktureinnahmen gespeist, finanziert dann aber auch Instandsetzung und Ersatzinvestitionen in gleichem Maße.
Mit dem Fondsmodell soll davon abgerückt werden, dass die Finanzierung jeder Einzelmaßnahme vorher geprüft und genehmigt werden muss. Vielmehr würden Eisenbahnbundesamt sowie Bundestag und Bundesrat nur den sachgerechten und sparsamen Umgang mit den Geldern beaufsichtigen.
Diese neue Finanzarchitektur wäre ein Befreiungsschlag. Der Planungsprozess könnte erheblich flexibler und schlanker werden, es stünden auch mehr Mittel für kleinere Maßnahmen bereit, das Netz könnte intelligenter ausgebaut werden.
Nur am Rande erwähnt wird die „Gemeinwohlorientierte Infrastruktur“. Nach dieser Idee sollen die DB-Infrastrukturgesellschaften keine Gewinne mehr an die Konzernmutter abführen und unter direkte Aufsicht des Bundes gestellt werden. Sie steht im Koalitionsvertrag, muss aber noch ausgehandelt werden. Geplant ist sie für 2024.
Regelung für den Umgang mit Personen im Gleis
Heikel ist das Thema Personen im Gleis. Man darf Bahnanlagen nicht betreten. Passiert es doch, besteht gegenüber diesen Personen keine Verkehrssicherungspflicht. Ignorieren kann man es aber niemals. Zumal die FahrdienstleiterInnen und TriebfahrzeugführerInnen die persönliche Verantwortung tragen. Das kann im Einzelfall auch zu übertriebener Vorsicht führen. Die führt dann dazu, dass mehrere Züge zurückgehalten werden, um eine Gefahr auszuschließen. Im Umfeld des Hamburger Hauptbahnhofs können solche Entscheidungen netzweite Auswirkungen haben.
Die Kommission schlägt vor, dass der Gesetzgeber das korrekte Verhalten für diese Fälle vorschreibt, um den Entscheidenden vor Ort Rechtssicherheit zu geben. Ihnen kann dann in der Regel kein Vorwurf gemacht werden, wenn sie sich an die Verhaltensregeln gehalten haben. So könnte in bestimmten Konstellation mit geringer Geschwindigkeit weiter gefahren werden.
Ausblick
Die Kommission wünscht sich, dass die Maßnahmen so schnell wie möglich umgesetzt werden. Da die DB, die zuständigen Bundesbehörden sowie Abgeordnete der Regierungsfraktionen mitgewirkt haben, ist es kein frommer Wunsch.
Die neue Finanzierungsarchitektur soll dieses Jahr im Parlament ausgehandelt werden und ist für Januar 2024 geplant. Die anderen Maßnahmen könnten bald umgesetzt werden, das Gesetzgebungsverfahren soll im 1. Quartal 2023 starten.
Unser Landesverband hofft auf eine schnelle Umsetzung, denn diese überfälligen Reformen könnten den Bahnverkehr in Zukunft drastisch verbessern.
Konkretes für Schleswig-Holstein und Hamburg
Für die besonders belasteten Schienenwege hat die Kommission Maßnahmen aufgelistet, die in kurzer Zeit bei geringen Kosten die Kapazität erhöhen könnten. Darunter auch einige Maßnahmen für unsere beiden Bundesländer.
Strecke | von | bis | Beschreibung | Ergänzung |
---|---|---|---|---|
1120 | Hamburg Berliner Tor | Reaktivierung der Bahnsteigkante an Gleis 4 | ||
1040 | Jübek | Flensburg-Weiche | Blockverdichtung für schnellere Zugfolge auf zwei überlangen Blockabschnitten (jeweils 10 km) | |
1120 | Hamburg-Hasselbrook | Ertüchtigung des Haltepunktes Hasselbrook in einen Bahnhof durch Ergänzungen von Signalen und Einbau einer doppelten Weichenverbindung. | Damit würde analog zu Altona bzw. Altona Nord auch aus Richtung Lübeck eine zentrumsnahe Wendemöglichkeit für den SPNV bei Sperrung des Hamburger Hauptbahnhof bestehen. | |
1220 | Elmshorn | Pinneberg | Blockteilung für Fahrten im Gegengleis der Blockteilung des jeweiligen Richtungsgleises anpassen (zusätzliche links stehende Blocksignale | ggf. nur mit Neubau ESTW Elmshorn umsetzbar |
1220 | Brokstedt | Versetzung des in Richtung Neumünster vor dem Bahnsteig stehenden Blocksignals | ||
1220 | Dauenhof | In Süd-Nordrichtung fehlt ein seitenrichtiges Überholgleis für Güterzüge zwischen Hamburg und Neumünster. Verlängerung des Überholgleises |